Durch das Zusammentreffen einer alten Tradition mit einer neuen Technologie ist ein bisher beispielloses Gemeingut verfügbar geworden. Mit der alten Tradition ist die Bereitschaft von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gemeint, die Ergebnisse ihres Arbeitens in Fachzeitschriften zu veröffentlichen und diese Veröffentlichungen anderen zur Verfügung zu stellen, ohne hierfür bezahlt zu werden. Die neue Technologie ist das Internet. Das Gemeingut, das aus deren Zusammentreffen hervorgehen kann, besteht darin, dass Zeitschriftenbeiträge, die das Peer-Review durchlaufen haben, weltweit elektronisch zugänglich gemacht werden können – kostenfrei und ohne Zugangsbeschränkungen für Forschende, Lehrende und Studierende und für alle anderen, die an den Ergebnissen der Wissenschaft interessiert sind. Der Abbau bisher bestehender Zugangsbeschränkungen wird zu einer Beschleunigung von Forschung und zu verbesserten (Aus-) Bildungsmöglichkeiten beitragen, zum wechselseitigen Lernen der “Armen” von/mit den “Reichen” und der “Reichen” von/mit den “Armen”. Er wird dazu verhelfen, dass wissenschaftliche Literatur tatsächlich so breit wie möglich genutzt wird, und er wird auf diese Weise auch dazu beitragen, Grundlagen für den Austausch und für das Verstehen auf der Basis eines geteilten Wissens zu legen, die weit über die Wissenschaften hinaus bedeutsam und wirksam sein werden.
Aus verschiedenen Gründen ist diese Art des kostenfreien und unbeschränkten Zugangs, im Folgenden als open access bezeichnet, bisher auf kleine Bereiche der wissenschaftlichen Zeitschriftenliteratur beschränkt. Aber bereits für diese kleine Gruppe bisher realisierter Initiativen konnte gezeigt werden, dass open access ökonomisch machbar ist, dass den Leserinnen und Lesern wertvolle Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, die für sie relevante Literatur zu finden und zu nutzen, und dass Autorinnen und Autoren bzw. deren Veröffentlichungen zu einer neuen – wesentlich vergrößerten und nachweisbaren – Sichtbarkeit, Leserschaft und Bedeutung verholfen werden kann. Damit diese Potentiale möglichst allen zugute kommen, rufen wir interessierte Institutionen und Personen auf, unsere Initiative zu unterstützen und mit uns dafür Sorge zu tragen, dass auch die verbleibende wissenschaftliche Zeitschriftenliteratur sukzessive öffentlich zugänglich gemacht wird gegen alle Widerstände, die diesem Bemühen bisher entgegenstehen – hierzu zählen vor allem anderen auch Preisbarrieren. Je mehr Unterstützung die Budapest Open Access Initiative findet, desto früher und umfassender wird es gelingen, dass die Vorteile des open access weltweit und jenseits nationaler, disziplinärer und sonstiger Bindungen verfügbar sind.
Frei zugänglich im Internet sollte all jene Literatur sein, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Erwartung, hierfür bezahlt zu werden, veröffentlichen. Zu dieser Kategorie gehören zunächst Beiträge in Fachzeitschriften, die ein reguläres Peer-Review durchlaufen haben, aber auch z.B. Preprints, die (noch) nicht begutachtet wurden, und die online zur Verfügung gestellt werden sollen, um Kollegen und Kolleginnen über wichtige Forschungsergebnisse zu informieren bzw. deren Kommentare einzuholen. Open access meint, dass diese Literatur kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein sollte, so dass Interessierte die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnen suchen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzen können, ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren jenseits von denen, die mit dem Internet-Zugang selbst verbunden sind. In allen Fragen des Wiederabdrucks und der Verteilung und in allen Fragen des Copyright überhaupt sollte die einzige Einschränkung darin bestehen, den jeweiligen Autorinnen und Autoren Kontrolle über ihre Arbeit zu belassen und deren Recht zu sichern, dass ihre Arbeit angemessen anerkannt und zitiert wird.
Selbstverständlich bedeutet das kostenfreie Zugänglichmachen von Beiträgen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften an Leserinnen und Leser nicht, dass diese ohne Kosten hergestellt und verteilt werden können. Aber bisher vorliegende Erfahrungen haben gezeigt, dass die Gesamtkosten des open access weitaus geringer sind als die Kosten, die traditionellerweise für diese Art des Produzierens und Verteilens wissenschaftlicher Literatur entstehen. Gerade heute bedeutet die Aussicht auf einen sehr viel größeren Verbreitungsgrad bei deutlich geringeren Kosten einen wichtigen Anreiz für Fachverbände, Universitäten, Büchereien, Stiftungen und Fördereinrichtungen sowie für andere Institutionen oder Personen, open access als wesentliches Mittel für ihre jeweiligen Belange zu erkennen und zu nutzen. Insoweit ist mit der Etablierung des open access die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer Kostendeckungsmodelle und Finanzierungsmechanismen verbunden, aber die signifikant niedrigeren Gesamtkosten lassen uns zuversichtlich sein, dass open access attraktiv, realisierbar und nicht nur eine utopische Idee ist.
Um open access zu wissenschaftlichen Fachbeiträgen zu ermöglichen, empfehlen wir zwei komplementäre Strategien.
I. Self-Archiving: Zum einen benötigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hilfsmittel und Unterstützung, um ihre Zeitschriftenbeiträge in frei zugänglichen elektronischen Archiven ablegen zu können, ein Vorgehen, das wir im Weiteren mit dem Begriff des Self-Archiving bezeichnen. Sofern diese Archive mit den Standards übereinstimmen, die von der Open Archives Initiative entwickelt wurden, können die verschiedenen dezentralen Archive wie ein riesiges Gesamtarchiv durchsucht oder für weitere Arbeiten genutzt werden. Nutzerinnen und Nutzer müssen dann nicht einmal wissen, welche Archive an welchen Orten existieren: sie können einfach auf diese gemeinsame Wissensbasis zugreifen und sie für ihre Zwecke verwenden.
II. Alternative Fachzeitschriften: Zum zweiten benötigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Mittel, um sukzessive eine neue Generation von Fachzeitschriften aufzubauen, die der Idee des open access verpflichtet sind. Ebenso sollten Sie diejenigen bereits existierenden Zeitschriften unterstützen, die kostenfreien Zugang zu allen von ihnen publizierten Beiträgen gewähren bzw. diejenigen, die bereits sind, sich perspektivisch für open access zu entscheiden. Da Zeitschriftenbeiträge so breit wie möglich verteilt werden sollten, sollten Veröffentlichungen in diesen “neuen Zeitschriften” nicht länger Copyright-Regelungen unterliegen, mit denen (Wieder-) Nutzungs- oder Zugangsbeschränkungen verbunden sind. Stattdessen sollte das Copyright und sollten andere Mittel verwandt werden, um den dauerhaften Zugang zu allen in den Zeitschriften veröffentlichten Artikeln sicherzustellen. Da Geld eine teilweise sehr wesentliche Zugangsbeschränkung bedeutet, sollten diese neuen Zeitschriften keine Subskriptions- oder Zugangsgebühren erheben, sondern sich um andere Mittel zur Abdeckung ihrer Kosten bemühen. Hier sind zahlreiche alternative (Misch-) Finanzierungen möglich, z.B. durch private und staatliche Stiftungen und Fördereinrichtungen, durch Universitäten und andere Institutionen, die Forschende beschäftigen, durch Stiftungs- und Fördergelder, die disziplinär gebunden vergeben werden, durch Spenden von Einzelpersonen oder Einrichtungen, die sich der Vision des open access verpflichtet fühlen, durch Einnahmen aus Werbe-Add-ons auf den Texten, durch Mittel, die frei werden, indem überteuerte Zeitschriften, die nicht bereit sind, freien Zugang zu gewähren, abbestellt werden, oder durch finanzielle Beiträge, die die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen selbst zu zahlen bereit sind. Es ist wenig sinnvoll, eine der hier genannten Varianten jenseits nationaler und/oder disziplinärer Besonderheiten anderen vorzuziehen, und die Aufzählung soll zusätzliche, kreative Finanzierungsmodelle keinesfalls ausschließen.
Ziel unserer Initiative ist der unbeschränkte Zugang zur gesamten wissenschaftlichen Zeitschriftenliteratur. “Self-Archiving” (I.) und eine neue Generation von “alternativen Fachzeitschriften” (II.), die sich der Idee des open access verpflichten, sind Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Und sie sind sehr direkte und effektive Wege, auch weil ihre Realisierung und Nutzung bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst liegt, die unmittelbar tätig werden können, ohne auf irgendwelche Markt-, Gesetzes- oder sonstige Regulierungen warten zu müssen. Dass wir diese Wege besonders betonen, bedeutet nicht, dass wir nicht auch zu weiteren Experimenten ermutigen, die zusätzliche Möglichkeiten eröffnen können, um den Übergang von bisherigen Zugriffs- und Verteilungsmodellen zu Modellen des open access zu unterstützen und zu beschleunigen. Flexibilität, die Bereitschaft zum Experimentieren, die Nutzung von lokalen Ressourcen bzw. die Anpassung an lokale Entwicklungsbedingungen sind die besten Voraussetzungen, um zu erreichen, dass sich die Entwicklung in Richtung open access in unterschiedlichen Settings schnell, erfolgreich und dauerhaft vollziehen kann.
Das von George Soros gegründete Open Society Institute wird als Gründungsnetzwerk erste Hilfen und finanzielle Fördermittel bereitstellen, um diese Ziele zu erreichen. Es wird seine Ressourcen und seinen Einfluss geltend machen, um institutionelle Bemühungen des Self-Archiving weiter zu fördern und um bei der Gründung alternativer Zeitschriften und bei deren Bemühen um finanzielle Sicherung zu helfen. Doch auch wenn das Engagement und die Mittel des Open Society Institute eine unabdingbare Voraussetzung sind, um die nächsten Schritte vollziehen zu können, braucht unsere Initiative dringend weitere Organisationen, die uns mit ihrem Engagement und mit ihren Ressourcen unterstützen.
Wir laden deshalb alle, die unsere Vision des open access teilen, herzlich ein, mit uns zusammen daran zu arbeiten, dass die alten Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen sukzessive ausgeräumt werden – Regierungsstellen, Universitäten und Büchereien ebenso wie Zeitschriften-Herausgeber und -Herausgeberinnen, Verlage, Fördereinrichtungen, Learned Societies, Fachverbände und auch einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Unsere gemeinsame Anstrengung wird auch zu einer Entwicklung beitragen, in deren Verlauf Wissenschaft und Bildung sich in der Zukunft überall auf der Welt freier und offener entfalten können, als dies bisher der Fall war.
17. Januar 2002
Budapest, Ungarn